Claudia Tödt­mann (Manage­ment-Blog Wirtschaftswoche):
Der Diesel­skandal und die Scha­dens­er­satz­for­de­rung von VW an seine Ex-Topma­nager Winter­korn und Stadler ist eine Blau­pause. Inter­view mit Mana­ger­haf­tungs­profi Michael Hendricks

VW verlangt von den Ex-Top-Mana­gern Martin Winter­korn und Rupert Stadler wegen des Diesel­skan­dals Scha­den­er­satz aus ihrem Privat­ver­mögen. Vorge­worfen wird den beiden, dass sie in dem Moment untätig blieben, als sie defi­nitiv von den rechts­wid­rigen Machen­schaften im Unter­nehmen erfuhren. Mana­ger­haf­tungs­experte und Anwalt Michael Hendricks zeigt im Inter­view auf, warum dies ein Weckruf für alle Top-Manager, Vorstände und Geschäfts­führer in Deutsch­land ist.

Warum kommt die Ankün­di­gung der Forde­rung von VW erst jetzt? Haben die Anwälte der Kanzlei Gleiss so lange Zeit gebraucht, weil sie so viel Mate­rial sichten mussten? Die Rede ist von irrwitzig viel Mate­rial und mehr als 1550 Inter­views und Verneh­mungen. Oder hat VW andere Gründe, erst jetzt Forde­rungen gegen die verant­wort­li­chen Manager anzukündigen?

VW taktiert. Der Aufsichtsrat hat sich vermut­lich deshalb sechs Jahre Zeit gelassen mit der Ankün­di­gung der Inan­spruch­nahme der verant­wort­li­chen Vorstände, weil der Konzern ansonsten selbst die vielen Verbrau­cher­klagen befeuert hätte durch dieses Schuldeingeständnis.

Was passiert als nächstes?

Erfah­rungs­gemäß strebt der Aufsichtsrat einen Vergleich mit den D&O- Versi­che­rern an und versucht, eine Klage zu umgehen: Um an schnelles Geld zu kommen und den Repu­ta­ti­ons­schaden nicht noch weiter zu vergrö­ßern. Der VW-Aufsichtsrat, Martin Winter­korn und Rupert Stadler und die D&O-Versicherer werden sich an einen Tisch setzen und einen Vergleich aushan­deln. So lief es schon bei Siemens, bei der Deut­schen Bank und auch dem Flug­hafen BER. Von Winter­korn und Stadler wird dann eine Eigen­be­tei­li­gung gefor­dert werden, die sie aus ihrem Privat­ver­mögen an VW zahlen müssen.

Wieviel wird VW von Martin Winter­korn und Rupert Stadler verlangen, wieviel werden die D&O-Versicherer zahlen müssen?

Das hängt von der Summe ab, die die D&O-Versicherer zahlen werden. Ich schätze, VW wird von den D&O-Versicherern 100 bis 200 Millionen Euro verlangen, auch wenn die Schäden eigent­lich in die Milli­arden gehen. Die Deckungs­summe - die Höchst­grenze - im D&O-Vertrag beträgt laut Pres­se­be­richten nur 500 Millionen Euro. VW verlangt weniger, weil die Straf­ver­fahren gegen Winter­korn und Stadler noch jahre­lang laufen werden und - wenn das Gericht vorsätz­li­ches Handeln der Topma­nager annimmt - der Konzern dann am Ende ganz leer ausgehen könnte.
Beide Parteien, VW wie die D&O-Versicherer, zocken. Die Versi­cherer werden VW sozu­sagen ein Häpp­chen geben. Wenn das Gericht in einigen Jahren gewerbs­mä­ßigen Banden­be­trug von Winter­korn und vorsätz­liche Pflicht­ver­let­zungen von Stadler bejaht, dann sind die D&O-Versicherer fein raus: denn sie müssen nicht mehr die Höchst­summe zahlen.
Aber wenn das Gericht die Ex-Manager in einigen Jahren frei­spre­chen würde, kann sich VW ärgern, weil der Konzern dann nicht die ganze Deckungs­summe erhalten hat.

… und dann?

Werden sich diese drei Parteien einig, wird dieser Vergleich der Haupt­ver­samm­lung von VW zur Abstim­mung vorge­legt werden. Ich gehe davon aus, dass die Haupt­ver­samm­lung diesen Vergleich geneh­migt. Wiederum, um den Repu­ta­ti­ons­schaden von VW zu verrin­gern und nicht noch weitere Prozesse loszu­treten, die weitere zehn bis 15 Jahre dauern würden.

Also wieviel werden Martin Winter­korn und Rupert Stadler aus ihrem Privat­ver­mögen an VW zahlen müssen, was schätzen Sie?

Bei dem Vergleich müssen auch die Topma­nager Federn lassen und eine Eigen­be­tei­li­gung aus ihrem Privat­ver­mögen zahlen - bezie­hungs­weise auf Alters­ver­sor­gungs­zu­sagen von VW verzichten.
In einem anderen Fall musste ein Finanz­vor­stand auf seine Alters­be­züge von drei Millionen Euro gegen­über seinem Unter­nehmen verzichten - der gesamte Schaden betrug acht Millionen Euro.
Auch Winter­korn und Stadler werden wohl mehrere Millionen verlieren, indem sie ihre Versor­gungs­be­züge zurück­geben müssen und womög­lich oben­drein noch weitere Scha­den­er­satz­zah­lungen an VW leisten müssen.

Müssen Martin Winter­korn und Rupert Stadler jetzt ihre Anwalts­kosten - und wenn ja, wieviel - zurück­zahlen an den D&O-Versicherer?

Wenn VW, die beiden Ex-Manager Winter­korn und Stadler sich mit dem D&O-Versicherer schnell über eine Vergleichs­summe einig werden, brau­chen die Manager keine Kosten von Anwälten, die für die zivil­recht­li­chen Scha­den­er­satz­an­sprüche beauf­tragt wurden, erstatten.
Anderes gilt, wenn die beiden eines Tages vom Gericht wegen einer vorsätz­li­chen Straftat - dem Nicht­auf­klären und Stoppen der Schum­mel­soft­ware - verur­teilt würden und kein Vergleich zuvor geschlossen wurde: Dann müssten die D&O-Versicherer wegen dieses vorsätz­li­chen Verhal­tens nichts zahlen und könnten die bereits geleis­teten Hono­rare für Anwälte der beiden von ihnen zurück­for­dern. Erfah­rungs­gemäß können diese Anwalts­rech­nungen schnell ein, zwei, drei Millionen Euro und mehr ausmachen.

Welche Signal­wir­kung wird die Forde­rung von VW für andere Manager in anderen Bran­chen landauf landab haben? Der Pflicht­ver­stoß, der den Topma­na­gern jetzt konkret vorge­worfen wird, ist ja dieses Mal ein Unter­lassen - und zwar das scho­nungs­lose Nicht­auf­klären, als sie defi­nitiv von dem Einsatz der betrü­ge­ri­schen Soft­ware erfuhren? Dieses Mal lautete der Vorwurf ja - anders als bei Siemens - gerade nicht Kontroll- oder Organisationsversagen.

Winter­korn und Stadler hätten sofort den Verkauf der Autos mit Schum­mel­soft­ware darin stoppen und alles aufklären müssen. Das haben sie nicht getan. Das genau wäre aber ihre Pflicht gewesen. Das bedeutet über diesen Fall hinaus: Manager müssen sich abge­wöhnen, über Miss­stände im eigenen Haus nur wegzu­gu­cken. Das passiert überall und täglich, und genau das, worüber sie hinweg­sehen, sind ihre eigenen Tret­minen von morgen. Manager sollten im urei­gensten Inter­esse tatsäch­lich auf Einhal­tung der Gesetze in ihrer Firma achten. Denn wenn sie beim Wegschauen vom Gericht erwischt werden, müssen sie am Ende genau deshalb der Firma Scha­dens­er­satz aus eigener Tasche zahlen.

Im Klar­text: Gerade ihr Weggu­cken macht sie persön­lich schadensersatzpflichtig.

Genau. Ich frage: welcher Geschäfts­führer, welcher Vorstand will schon seine Villa und seine Alters­ver­sor­gung dafür opfern, dass das Unter­nehmen einen gesetz­wid­rigen Vorteil erlangt? Er selbst verliert dafür oben­drein auch noch seinen Job. Ich fürchte, diese Folge, dieses Risiko macht sich derzeit kaum ein Manager klar, der heute noch wegsieht.

Das dürfte anstren­gend werden. Vor allem: Wie ist diese Anfor­de­rung an die Topma­nager vor dem Hinter­grund des geplanten Gesetzes zu Whist­le­b­lo­wern zu sehen? Bislang reagieren - wie Arbeits­rechtler berichten - Unter­nehmen auf Whist­le­b­lower immer gleich: sie feuern sie. Diese Stra­tegie könnte für Topma­nager jetzt blitz­ge­fähr­lich werden, richtig?

Tritt zum Jahres­ende das Whist­le­b­lower-Gesetz in Kraft, ist es aus Sicht der Topma­nager selbst­mör­de­risch, die Hinweis­geber zu feuern, statt ihnen zu danken und sofort Verstöße rück­haltlos aufzu­klären. Im Grunde wird ein Manager, der durch Whist­le­b­lower Geset­zes­ver­stöße in seinem Unter­nehmen erfährt, künftig ein beson­deres, hohes Eigen­in­ter­esse an Aufklä­rung und Besei­ti­gung haben müssen.

Das dürfte die bishe­rige ableh­nende, gering­schät­zende Haltung der Topma­nager gegen­über Whist­le­b­lo­wern ändern.

Der Präze­denz­fall, der zumin­dest die Compli­ance-Experten aufschreckte, war ein Urteil vom Bundes­ge­richtshof im Jahre 2009. Damals wurde ein Compli­ance-Beauf­tragter - also nicht mal ein gutver­die­nender Topma­nager - vom Straf­ge­richt verur­teilt wegen Beihilfe durch Unter­lassen. Der BGH sagte im Klar­text: Wenn ein Compli­ance-Beauf­tragter wegschaut und eine Straftat von Unter­neh­mens­an­ge­hö­rigen nicht zur Anzeige bringt, dann erfüllt er selbst diesen Straf­tat­be­stand - und zwar als Beihilfe durch Unter­lassen. Egal ob es um Untreue, Betrug, Korrup­tion oder Verstöße gegen Arbeits­schutz geht. Das gilt selbst­ver­ständ­lich auch für Vorstände, Geschäfts­führer und Aufsichts­räte. Dieser Verur­tei­lung der Straf­richter folgte dann im nächsten Schritt die Pflicht, Scha­den­er­satz zu leisten - aus seinem Privat­ver­mögen, das lange nicht so hoch ist wie bei einem Dax-Vorstand.

Hat diese Scha­den­er­satz­for­de­rung von VW an Martin Winter­korn und Rupert Stadler Einfluss auf die vielen anderen Prozesse rund um den Dieselskandal?

Ja, VW gibt in seiner Pres­se­mit­tei­lung zu, dass es fahr­läs­sige Pflicht­ver­let­zungen von Winter­korn und Stadler gegeben habe. Immerhin hat VW damit deren Pflicht­ver­let­zung zuge­geben, auf die sich jeder Verbrau­ch­er­kläger-Anwalt berufen kann. Deren Chancen steigen damit.

Gemessen an dem riesigen Schaden des Diesel­skan­dals kommen die verant­wort­li­chen Topma­nager persön­lich also recht glimpf­lich davon? 

Genau, und Ich möchte wetten, dass alles genau so ablaufen wird. Dass so ein Vergleich zustande kommt und die Haupt­ver­samm­lung das absegnet. Und dass die beiden Topma­nager mit einer einstel­ligen Millio­nen­summe davon­kommen werden. So wie beim viel­be­ach­teten Skan­dal­flug­hafen BER, bei dem die Steu­er­zahler jetzt den größten Schaden tragen - aber da hat von den Medien fast keiner mehr hingeschaut.

Und die Betei­ligten werden natür­lich - soweit es geht - Still­schweigen verein­baren. Bleibt die Frage: Hätte der VW-Aufsichtsrat auch anders entscheiden können und keine Scha­den­er­satz­for­de­rung gegen Martin Winter­korn und Rupert Stadler stellen? 

Nein, denn dann würde sich der Aufsichtsrat selbst scha­den­er­satz­pflichtig machen. Ein Aufsichtsrat kann nur dann darauf verzichten, gegen die Vorstände Scha­den­er­satz­for­de­rungen zu erheben, wenn der ganze Fall noch nicht an die Öffent­lich­keit gedrungen ist und der Repu­ta­ti­ons­schaden noch höher wäre als die Forde­rung. Aber beides trifft auf VW nicht zu.

Quelle: „Weckruf für Manager: Wer in der Firma lieber wegsieht, riskiert sein eigenes Vermögen – Der Diesel­skandal und die Scha­dens­er­satz­for­de­rung von VW an seine Ex-Topma­nager Winter­korn und Stadler ist eine Blau­pause. Inter­view mit Mana­ger­haf­tungs­profi Michael Hendricks“, MANAGE­MENT-BLOG der Wirt­schafts Woche
Link zum Online-Artikel: Weckruf für Manager: Wer in der Firma lieber wegsieht, riskiert sein eigenes Vermögen

Autorin: Claudia Tödt­mann


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