Beitrag von Claudia Pott für die Zeitschrift für Versicherungswesen 12/2023
In der letzten Zeit stellt sich immer wieder die Frage nach der Versicherbarkeit von Geldbußen und Geldstrafen in der D&O Versicherung. Grundsätzlich unterliegen Versicherungsverträge – wie jedes andere Rechtsgeschäft auch – den allgemeinen Grundsätzen der Privatautonomie. Grenzen dieser Privatautonomie sind die Normen §§ 134, 138 BGB (Verbots- und Sittenwidrigkeit).1
Auf Seiten der Versicherer wird allzu häufig das Argument der Sittenwidrigkeit zur Vermeidung der Zahlung von Geldbußen/Geldstrafen eingewandt und der Versicherungsschutz abgelehnt. Es stellt sich die Frage, ob dieses Verhalten rechtens sein kann. Die Frage ist offen und ungeklärt. Die folgenden Ausführungen sollen den Streitstand und die jeweiligen rechtlichen Argumente näher skizzieren.
Grundsätzlich verfolgen die meisten D&O Wordings einen weiten Ansatz. Der Gedanke im Underwriting ist „Verkauf der Police“. Ein weites Wording bietet somit im Vertrieb gute Argumente. Im Schadenfall sieht es dann allerdings anders aus.
Exemplarisch soll hier aus einem Maklerwording2 zitiert werden. In diesem Wording heißt es in Ziffer 1.2:
Als Schadenersatzansprüche gelten ebenfalls
- gegen versicherte Personen unmittelbar verhängte Bußgelder und Strafzahlungen (z.B. nach Marktmissbrauchsverordnung oder Datenschutz-Grundverordnung oder civil fines and penalties), sofern kein Versicherungsverbot in dem Land ihrer Verhängung vorliegt,
- Regressansprüche von oder im Namen von versicherten Unternehmen gegen versicherte Personen, die aufgrund einer Vertragsstrafe, einem Bußgeld oder einer Geldstrafe geltend gemacht werden.
Zunächst wird rein versicherungsrechtlich in dem Wording von Versicherungsschutz für Geldbußen und Geldstrafen ausgegangen. Verhängte Geldbußen und Geldstrafen sind explizit den Schadenersatzansprüchen gleichgestellt. Regressansprüche von Unternehmen gegen versicherte Personen wegen eines gegen das Unternehmen verhängten Bußgeldes sind ebenfalls versichert. Die Fragen sind somit lediglich: Gibt es ein Versicherungsverbot in Deutschland, welches besagt, dass Geldbußen/Geldstrafen nicht durch eine Versicherung bezahlt werden dürfen? Gibt es darüber hinaus einen Grund, weshalb ein gegen das Unternehmen verhängtes Bußgeld nicht gegenüber dem Geschäftsführer regressiert werden sollte/könnte?
1. Geldbußen gegen den Adressaten und Geldbußen gegen das Unternehmen
Zu unterscheiden sind grundsätzlich zwei verschiedene Szenarien von verhängten Geldbußen. Es gibt Geldbußen, die direkt gegen den Adressaten der Sanktion (das Organ) verhängt werden und es gibt Geldbußen, die gegen den Unternehmensträger verhängt werden (dieses ist häufig bei kartellrechtlichen Verstößen der Fall). Bei Geldbußen, die
gegenüber dem Unternehmen verhängt werden, ist umstritten3, ob der Unternehmensträger überhaupt Regress gegenüber dem verantwortlichen Organmitglied nehmen kann. In dem oben zitierten Wording ist der Regress von versicherten Unternehmen gegen versicherte Personen explizit als versichert aufgenommen worden. Zudem handelt es sich bei dem Anspruch des Unternehmens gegen das Organ – anders als bei der Sanktion gegen den Adressaten – grundsätzlich um einen Schadenersatzanspruch aus § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 AktG. Welche Gründe könnten somit noch gegen einen Regress sprechen?
Bei einem Bußgeld, welches gegen ein Organ direkt verhängt wird, handelt es sich um eine aufgrund öffentlicher Anordnung auferlegte Sanktion.4
2. Versicherungsverbot
Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass es kein Versicherungsverbot im Versicherungsvertragsgesetz gibt. Darüber hinaus gibt es in Deutschland kein ausdrückliches gesetzliches Verbot der Versicherung von Geldstrafen und Geldbußen oder ein Verbot der Versicherung entsprechender Regressansprüche.
Einige Versicherer greifen deshalb an dieser Stelle auf den Auffangtatbestand der Sittenwidrigkeit zurück, welcher für sämtliche privatautonomen Rechtsgeschäfte gilt. Dieses „Verbot“ benennen die Versicherer mit § 138 BGB.
Hierbei wird nach Ansicht der Autorin übersehen, dass die Annahme der Sittenwidrigkeit stets eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Falles erfordert. Es macht beispielsweise einen entscheidenden Unterschied, ob eine Geldbuße/Geldstrafe wegen einer Vorsatz- oder einer Fahrlässigkeitstat verhängt wird.5 Diese Differenzierung wird aber durch eine pauschale Ablehnung nicht vorgenommen.
Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass sich die Schadenbearbeitung der Versicherer untereinander stark unterscheidet. Es gibt Versicherer, die Bußgelder wegen Fahrlässigkeitstaten, z.B. bei verspäteten ad-hoc Meldungen, bezahlen. Es mehren sich aber die Versicherer, welche eine Übernahme und sogar eine Abwehr des behördlichen Verfahrens durch Beauftragung eines Anwalts (Stichwort „Abwehrdeckung“) ablehnen. Diese pauschale Ablehnung sollte kritisch hinterfragt werden.
Festzuhalten ist, dass es 3 Kategorien von Versicherern innerhalb der Schadenbearbeitung von Geldbußen/Geldstrafen gibt:
a. Versicherer, die sich vollumfänglich auf Sittenwidrigkeit berufen, aber die Abwehr innerhalb des Ordnungswidrigkeitenverfahrens übernehmen.
b. Versicherer, die Bußgelder Fahrlässigkeitstaten und die vorherigen – erfolglosen – Abwehrkosten übernehmen.
c. Versicherer, die sich vollumfänglich auf Sittenwidrigkeit berufen und zusätzlich die Abwehr innerhalb des Ordnungswidrigkeitenverfahrens ablehnen.
Diese Diskrepanzen innerhalb der Schadenbearbeitung sind dem Kunden nur schwer zu vermitteln. Ein Kunde fragt nach der Versicherbarkeit eines Bußgeldes/einer Geldstrafe und die Antwort des Maklers ist: „Wo sind sie denn versichert?“
3. Urteil des BAG, 25.01.2001
Die Versicherer, welche eine Übernahme des Bußgeldes/einer Geldstrafe ablehnen, ziehen zur Untermauerung ihrer Argumente der Sittenwidrigkeit6 immer wiederkehrend ein Urteil des BAG (Bundesarbeitsgericht, 25.01.2001, Aktenzeichen 8 AZR 465/00)7 heran. In dem Leitsatz des Urteils heißt es:
Zusagen des Arbeitgebers über die Erstattung von etwaigen Geldbußen für Verstoße der Arbeitnehmer gegen Vorschriften über Lenkzeiten im Güterfernverkehr sind sittenwidrig und daher nach § 138 BGB nichtig.
In dem konkreten Fall hatte ein Unternehmen einem Berufskraftfahrer suggeriert, dass es bei Verstößen gegen Lenkzeiten das Bußgeld übernehmen werde. Das Unternehmen hatte in der Vergangenheit mehreren Arbeitnehmern mitgeteilt, dass es entsprechende Bußgeldbeträge erstatte.
Dieser immer wieder herangezogene Fall ist im Regelfall nicht mit den üblichen Fällen von verhängten Bußgeldern zu vergleichen. Ein Arbeitgeber, der einem Mitarbeiter mitteilt, er „könne ruhig Verstöße begehen, diese werden sodann schon bezahlt“, verdient in der Tat keinen Schutz. Dieser Fall hat aber keine Vergleichbarkeit mit Fällen von verspäteten ad-hoc Meldungen oder sonstigen fahrlässigen OWI-Verstößen.
Das Bundesarbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass derartige vorherige Zusagen dem Zweck von Straf- und Bußgeldvorschriften zuwiderlaufen und geeignet sind, die Hemmschwelle des Arbeitnehmers, Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu begehen, herabzusetzen.
Obwohl die Fälle von verspäteten ad-hoc-Meldungen nicht mit dem hier benannten Fall vergleichbar sind, ziehen die Versicherer die Entscheidung des BAG heran.
In den Ablehnungen der Versicherer heißt es:
In Deutschland ist ein solches Versicherungsverbot, welches in Ziffer 1.2 benannt ist, die Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs.1 BGB. Nach seinem Urteil vom 25.01.2001 hat das Bundesarbeitsgericht unter Verweis auf den Sanktionszweck der Geldbuße entschieden, dass Zusagen eines Arbeitgebers über die Erstattung von etwaigen Geldbußen für Verstöße des Arbeitnehmers sittenwidrig und daher nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sind. Da es im Ergebnis keinen Unterschied macht, ob der Strafzweck des Bußgeldes durch eine direkte Erstattungszusage des Arbeitgebers vereitelt wird oder ob dies durch den Abschluss einer entsprechenden Versicherung geschieht, liegt in der Versicherung persönlicher Bußgelder nach deutschen Recht eine Sittenwidrigkeit vor.
Genau diese Rechtsansicht der Versicherer ist fragwürdig. Ein Arbeitgeber, welcher Mitarbeiter durch Zusagen von Erstattungen quasi zur Missachtung von Rechtsnormen auffordert, ist von einer Versicherung, die Geldbußen/Geldstrafen für Fahrlässigkeitstaten erstattet, zu unterscheiden. In der D&O Versicherung sind nur Manager/Leitende Angestellte/Prokuristen versichert. Diese sollen grundsätzlich die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns walten lassen. Hierzu sind gerade Vorstände und Geschäftsführer nach den Normen des § 93 AktG und des § 43 GmbHG verpflichtet. Der Umfang der D&O Versicherung ist den meisten Managern nicht bekannt. Ein mehrmaliger Verstoß gegen Gesetze würde zudem eine Kündigung des Versicherungsvertrages oder eine Auflösung des Arbeitsvertrages nach sich ziehen. Die Heranziehung des BAG Urteils ist folglich rechtlich nicht fundiert begründet.
In Teilen des Schrifttums wird vertreten8, dass bei fahrlässigen Geldbußen/Geldstrafen eine Erstattung durch den Versicherer gerade nicht sittenwidrig sei. Diese Einschätzung wird für die D&O Versicherung darauf gestützt, dass die Organmitglieder schon im eigenen Interesse, etwa zum Schutz ihrer rechtlichen Beziehungen zur Gesellschaft, aufgrund des Selbstbehaltes bei Aktiengesellschaften und weil sie regelmäßig keine genauen Kenntnisse über Inhalt und Umfang der zu ihren Gunsten abgeschlossenen D&O Versicherung haben, ungeachtet des Versicherungsschutzes bemüht seien, die gebotene Sorgfalt walten zu lassen.9
Ferner wird angeführt, dass es der Einheit der Rechtsordnung widerspreche, ein strafrechtlich nicht tatbestandsmäßiges Verhalten zivilrechtlich zu sanktionieren.10 Es sei nicht Aufgabe des Zivilrechts, die Freiheit der Bürger ohne Anordnung des Gesetzgebers in Bereichen zu beschränken, die das Strafrecht nicht erfasst.11
4. Nachträgliche Bezahlung einer Geldbuße für einen Dritten erfüllt nicht den Tatbestand der Strafvereitelung nach § 258 Abs. 2 StGB
Bereits Anfang der 90er Jahre hat der BGH entschieden, dass die nachträgliche Erstattung einer dem Täter auferlegten Geldbuße/Geldstrafe durch einen Dritten keine Vollstreckungsvereitelung nach § 258 Abs. 2 StGB darstelle.12 Nach jener Norm macht sich strafbar, wer absichtlich oder wissentlich die Vollstreckung einer gegen einen anderen verhängten Strafe oder Maßnahme ganz oder zum Teil vereitelt. Genau diese Vereitelung hat der BGH aber nicht bestätigt. Nach wohl überwiegender Ansicht begeht Strafvollstreckungsvereitelung nur, wer die Strafe direkt für den Verurteilten einzahlt oder ihm den entsprechenden Betrag vor der Bezahlung schenkt, nicht hingegen derjenige, der dem Verurteilten nachträglich einen entsprechenden Betrag erstattet oder ein vorher im Hinblick auf die Geldstrafe gewährtes Darlehen erlässt.13
Das Verbot, eine fremde Geldstrafe zu bezahlen und seine Strafbewehrung wird von der überwiegenden Meinung damit begründet, die Verhängung der Geldstrafe begründe eine höchstpersönliche Leistungspflicht, sie solle den Verurteilten persönlich treffen und für ihn ein fühlbares Übel darstellen. Die Geldstrafe verliere ihren Sinn, wenn ein Dritter dem Verurteilten diese Belastung abnehme.14 Dem wird entgegengehalten, die Rechtsordnung könne es weder verbieten, noch verhindern, dass jemand einen Verurteilten aus Mitleid oder anderen Gründen finanziell unterstütze. Ein solches Verhalten sei sozialadäquat und damit nicht tatbestandsmäßig.15
Wenn ein solches Verhalten aber sozialadäquat ist, so lässt sich argumentieren, dass die nachträgliche Bezahlung einer solchen Strafe/Buße durch eine Versicherung kein sittenwidriges Verhalten darstellt und somit versichert ist.
5. Kartellrechtliche Organhaftung – Regressfähigkeit von Bußgeldern?
Wie oben unter Ziffer 1 dargestellt, wird zwischen zwei verschiedenen Geldbußen unterschieden. Es gibt direkte Bußgelder gegen versicherte Personen und es gibt Bußgelder gegen Unternehmen, welche diese sodann gegenüber einem Organmitglied regressieren. Beide Szenarien sind in dem oben zitierten Wording aufgeführt. Regresse gegen Organmitglieder wegen Bußgeldern, die gegen das Unternehmen verhängt worden sind, treten häufig im Rahmen von Kartellordnungswidrigkeiten auf. Im Rahmen der kartellrechtlichen Organhaftung wird teilweise vertreten, dass kartellrechtliche Bußgelder nicht mehr innerhalb des Schutzbereiches des § 93 Abs. 2 AktG liegen und deshalb keinen ersatzfähigen Schaden darstellen.16 Entsprechendes müsse sodann auch für den Anspruch nach § 43 Abs. 2 GmbHG gelten.
Mit dem Sanktionszweck einer Unter nehmensgeldbuße sei es unvereinbar, wenn das Unternehmen sich diese von dem Organ zurückerstatten lasse.17 Das Zivilrecht würde hierdurch eine ordnungsrechtliche Entscheidung korrigieren, weil sich das Unternehmen letztlich entlasten und damit aus der Verantwortung ziehen könnte.18 Die Sanktionswirkung der kartellrechtlichen Bußgeldnormen könne nur eintreten, wenn es dem Unternehmen verwehrt sei, das Bußgeld im Innenverhältnis auf die für es handelnden Personen abzuwälzen.19 Schadenersatzansprüche könnten ferner nur geltend gemacht werden, wenn ein der Rechtsordnung nicht entsprechender Zustand vorliege – daran fehle es, wenn das Unternehmen zu Recht sanktioniert werde.
Die Einwände überzeugen nach Ansicht der Autorin nicht. Sie missachten, dass das Bußgeld- und das Haftungsrecht gleichberechtigt nebeneinander stehen und jeweils eigene Schutzzwecke haben.20 § 93 Abs. 1 und 2 AktG und die entsprechenden GmbH-rechtlichen Regelungen in § 43 GmbHG dienen dem Schutz des Gesellschaftsvermögens, welches durch eine Einbuße aufgrund einer Pflichtverletzung der Vorstandsmitglieder oder Geschäftsführer vermindert.21 Beider Sanktionierung mit einer Verbandsgeldbuße handelt es sich gerade um Nachteile, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung §93 Abs. 1 und 2 AktG und §43 Abs. 2 GmbHG erlassen wurden.22 Es ist schlicht nicht ersichtlich, dass in Kartellsachen ein Regress gesetzlich ausgeschlossen werden soll. Vielmehr sehen § 93 Abs. 2 AktG und § 43 Abs. 2 GmbHG ausdrücklich einen Regress bei Pflichtverletzungen vor.23
„Es besteht kein gesetzlicher Regressausschluss. Würde ein solcher Ausschluss bestehen, führt dies zu einer Art Gefährdungshaftung für Gesellschafter.“
Dem weiteren Argument der kritischen Stimmen lässt sich entgegenhalten, dass mit der Bebußung zwar ein bußgeldrechtlich ordnungsgemäßer Zustand vorliegt, für die Gesellschaft aber eine finanzielle Einbuße eingetreten ist, die bei rechtmäßigem Verhalten des betroffenen Geschäftsleitungsmitglieds nicht vorläge. Schadenersatzrechtlich liegt damit erst nach Schadenskompensation ein rechtmäßiger Zustand vor, sodass ein Regress zulässig sein sollte.24 Im Rahmen des Regresses ist sodann zu beachten, dass etwaige Vermögensvorteile, die das Unternehmen durch das Kartell erlangt hat, nicht als Schaden ersetzt werden können.25 Außerdem sieht § 81 Abs. 4, Satz 1 GWB gerade keinen generellen Ausschluss der Haftung von Organmitgliedern für Kartellrechtsverstöße vor.26
Nach Ansicht der Autorin besteht kein gesetzlicher Regressausschluss. Würde ein solcher Ausschluss bestehen, führt dies zu einer Art Gefährdungshaftung für Gesellschafter. Diese haben faktisch nur eingeschränkte Möglichkeiten, durch eigenes Tun Kartellverstöße durch Organmitglieder zu verhindern.27
Höchstrichterliche Urteile gibt es zu diesem Themenbereich – noch – nicht. Es haben alle gespannt auf die Entscheidung des LG Dortmund im sogenannten Schienenkartell gewartet. Das LAG Düsseldorf28 hatte in seiner Entscheidung vom 20.01.2015 einen gesetzlichen Regressausschluss angenommen und geurteilt, dass ein Geschäftsführer nicht für das gegen das Unternehmen verhängte Kartellbußgeld in Regress genommen werden kann. Die Rechtsmittelinstanz beim BAG29 hat die Sache aufgrund Unzuständigkeit wegen Wettbewerbsrecht an das LG Dortmund30 verwiesen. Bis sich der BGH mit der Sache zu befassen hat, werden Jahre vergehen – so dachte man. Man irrte sich – die Parteien haben sich vor Gericht verglichen.
Das LG Saarbrücken31 hat in einem ähnlich gelagerten Fall („Badezimmerkartell“) entschieden, dass es nicht mit dem Sanktionszweck des Bußgeldes gegen ein Unternehmen vereinbar ist, wenn über eine Versicherung des in Anspruch genommenen verantwortlichen Organmitglieds ein Ausgleich erfolgt. Darüber hinaus ist zu bedenken – so das LG Saarbrücken, dass mit der Abwälzung von Bußgeldern auf Organe oder D&O‑Versicherungen den Regelungen und Zielen des europäischen Rechts widersprochen wird. Die Berufung wurde zurückgenommen. Höchstrichterliche Urteile sind somit weiterhin Fehlanzeige.
6. Fazit
Die Versicherer haben die jeweiligen Maklerwordings gezeichnet und dadurch Geldbußen und Geldstrafen grundsätzlich als versichert angesehen. Insbesondere bei Fahrlässigkeitstaten auf einen Auffangtatbestand wie Sittenwidrigkeit auszuweichen, ist mehr als fraglich. Es bedarf einer Abwägung und Prüfung im Einzelfall. Die pauschale Ablehnung aller Fälle ist eine fragwürdige Praxis. Da 95% der Fälle in Deutschland spielen, hätte der Versicherer mit dem pauschalen Argument der Sittenwidrigkeit eine Klausel gezeichnet, die er maximal in 5% der Fälle überhaupt anwendet. Im Vertriebsbereich verschafft die Klausel dem Versicherer allerdings zunächst viele Kunden.
Es bleibt so lange spannend und leider auch ungeklärt, bis der BGH eine Entscheidung fällt.
Diesen Beitrag veröffentlichte die “ZEITSCHRIFT FÜR VERSICHERUNGSWESEN” in ihrer Ausgabe 12|2023
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3. Fazit
Die Damoklesschwerter der Anfechtung und des Bußgeldregresses schweben auch 2023 über den Köpfen der redlichen – und vermeintlich versicherten – Entscheidungsträger in Deutschland. Da beim Thema Anfechtung weder auf Zusagen des Versicherers noch auf vertragsinterne Klausel-Lösungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt hundertprozentig Verlass ist, bleibt für das Gros der Manager als sicherster Weg nur eine zusätzliche individuelle Absicherung über eine persönliche D&O‑Police.
Eine solche Police kann auch eine mögliche Deckungslücke schließen, die aus der Gefahr von Bußgeld-Regressen hervorgeht, solange D&O‑Versicherer zu diesem Thema keine einheitliche Position und verlässliche Lösung gefunden haben.
Diesen Beitrag veröffentlichte die Zeitschrift Die VersicherungsPraxis in ihrer Ausgabe 02/2023
Claudia Pott, LL.M.
Head of Legal and Claims Department
Mitglied der Geschäftsleitung
- Armbrüster, in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl. 2015, § 134 Rn. 3. Armbrüster/Schilbach, r+s 2016, 109.
- Hendricks GmbH, Wording HPDO 2020, Stand 09/19.
- Siehe hierzu Armbrüster/Schilbach, r+s 2016, 109; Gegen das Bestehen einesR egressanspruchs: Dreher, VersR 2015, 781, 787ff.; ders. FS Konzen (2006) 85, 106; Horn ZIP 1997, 1129, 1136; Dafür: Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219, 1225ff.; Koch, VersR 2015, 655, 657ff.; Fleischer, DB 2014, 345, 347ff.; ders. BB 2008, 1070, 1073; Zimmermann, WM 2008, 433, 437; Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 345; Wilsing, in: Krieger/Schneider, Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, §27 Rn. 39; LAG Düsseldorf BB 2015, 907 mitzust.Anm. Bachmann = BB 2015, 1018 mitzust. Anm. Kollmann/Aufdermauer = VersR 2015, 629 mitzust. Anm. Labusga. Zusammenfassung des bisherigen Verfahrensgangs: Bischke/Brack NZG2015, 349; für Nichtigkeitgem. § 134: Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 548; differenzierend zwischen § 134/138 BGB: Ruttmann, Die Versicherbarkeit von Geldstrafen, Geldbußen, Strafschadensersatz und Regressansprüchen in der D&O‑Versicherung, 2014, S. 85; ders. VW 2/2015, 50; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 84 Rn. 72; Gädtke, in: Bruck/Möller, VVG, Bd. IV, 9. Aufl. 2013, AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 5, Rn. 104ff.; offenlassend, ob Nichtigkeit aus § 134 oder§ 138 BGB folgt: Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Bd. 2/1, 3. Aufl. 2010, § 84 Rn. 95; Voit, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, AVB-AVG Ziff. 5 Rn. 15; Gruber/Mitterlechner/Wax, D&O Versicherung, 2012, § 7 Rn. 7.
- Dreher, VersR2015, 781, 788?f., Richtet sich die Geldstrafe oder Geldbuße gegen den Versicherten selbst, so besteht in der klassischen Haftpflichtvers. hierfür kein Schutz. Gedeckt sind demnach nämlich allein Schadenersatzansprüche aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen. Die Verhängung von Geldstrafen oder ‑bußen erfolgt hingegen nicht aufgrund derartiger Bestimmungen, sondern aufgrund hoheitlicher Anordnung. Ihr ausdrücklicher Ausschluss in den AVB (s. etwa Ziff. 5.11 AVB- AVG für die D&O‑Vers.) hat daher regelmäßig nur deklaratorische Bedeutung. Allerdings bestünde nach dem hier zitierten Wording grundsätzlich Versicherungsschutz – die Grenze wäre hier ein mögliches Versicherungsverbot.
- Kapp, NJW 1992, 2796, 2798; Armbrüster, in: MünchKomm- BGB, 7. Aufl. 2015, § 134 Rn. 3.
- Gädtke, r+s 2013, 313, 317.
- BAG NJW2001, 1962, 1963.
- Kapp, NJW1992, 2796, 2798; Armbrüster/Schilbach, r+s
2016, 109; Rehbinder, ZHR 148 (1984) 555, 565ff; Mitsch,
KK-OWiG, 4. Aufl. 2014, § 17 Rn. 7–10; - Gädtke (Fn. 9), Ziff. 5 Rn. 116.
- Kapp, NJW 1992, 2796, 2798; Rehbinder, ZHR 148 (1984)
555, 565ff. - Rehbinder, ZHR 148 (1984) 555, 566.
- NJW 1991, 990; BGHSt 37, 226
- NJW 1991, 990; BGHSt 37, 226., Ihlas, in: MünchKomm-VVG,
2011, D&O Rn. 115 - Ihlas, D&O, 2. Aufl. 2009, S. 548.
- So auch Gädtke, in: Bruck/Möller, VVG, Bd. IV, 9. Aufl. 2013, AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 5 Rn. 104ff.; So befasst sich Stancke, Kartellrechtliche Organhaftung, BB 2020, 1667 ff sehr intensiv mit dem Thema und vertritt die Meinung, dass ein Regress möglich sein müsste
- Armbrüster/Schilbach, r+s 2016, 109
- Intensive Auseinandersetzung mit dem Streitstand bei Stancke, Kartellrechtliche Organhaftung, BB 2020, 1667 ff.
- Stancke, s.o.,
- Stancke, s.o.,
- So auch Stancke, Kartellrechtliche Organhaftung, BB 2020, 1667 ff.
- Stancke, Kartellrechtliche Organhaftung, BB 2020, 1667 ff; Gädtke, in: Bruck/Möller, VVG, Bd. IV, 9. Aufl. 2013, AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 5 Rn. 104ff.; offen lassend, ob Nichtigkeit aus § 134 oder § 138 BGB folgt: Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Bd. 2/1, 3. Aufl. 2010, § 84 Rn. 95; Voit, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, AVB-AVG Ziff. 5 Rn. 15; Gruber/Mitterlechner/Wax, D&O Versicherung, 2012, § 7 Rn. 7; in diese Richtung auch Dreher, VersR 2015, 781, 789.
- Stancke, Kartellrechtliche Organhaftung, BB 2020, 1667 ff.
- Im Rahmen der Frage der Zulässigkeit des Innenregresses: Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219, 1225ff.; Fleischer, BB 2008, 1070, 1073; Zimmermann, WM 2008, 433, 437; Glöckner/Müller-Tautphaeus, AG 2001, 344, 345; Wilsing (Fn. 37), § 27 Rn. 39, Gädtke (Fn. 9), Ziff. 5 Rn. 121.
- Gädtke, in: Bruck/Möller, VVG, Bd. IV, 9. Aufl. 2013, AVB-AVG 2011/2013 Ziff. 5 Rn. 104ff.; offen lassend, Mertens/Cahn, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Bd. 2/1, 3. Aufl. 2010, § 84 Rn. 95; Voit, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, AVB-AVG Ziff. 5 Rn. 15; Gruber/Mitterlechner/Wax, D&OVersicherung, 2012, § 7 Rn. 7., Dreher, VersR 2015, 781, 788ff.
- Armbrüster/Schilbach, r+s 2016, 109.
- Stancke, BB 2020, 1670.
- Stancke, BB 2020, 1670, 1671.
- LAG Düsseldorf, 20.1.2015, 16 Sa 458/14
- BAG, 29.6.2017, 8 AZR 189/15
- Bzw. das BAG verwies aufgrund Unzuständigkeit wieder an das LAG Düsseldorf, welches mit Beschluss vom 29.1.2018, 14 Sa 591/17 an das LG Dortmund verwies.
- LG Saarbrücken, Az 7HK O 06/16 und 7HK O 21/19.
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