Beitrag von Michael Hendricks für die Zeitschrift VersicherungsPraxis in ihrer Ausgabe 03/2024, S. 14–17.
Um mit der Erläuterung der vorstehenden Schlagzeile zu beginnen: Für Verantwortliche in Unterneh- men und insbesondere den Mitgliedern der Organe, also Vorstände, Geschäftsführer oder Aufsichtsräte, kann die wirtschaftsstrafrechtliche Verfolgung immer ein Alptraum sein. Der Alptraum findet dann mit- unter seinen Höhepunkt, wenn mit der Übernahme von Kosten in Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren der so wichtige D&O‑Versicherungsschutz zur Freistellung von zivilrechtlicher Haftung gefährdet wird. Vorsätzlich begangene Taten führen zum Versicherungsausschluss.
Und auch für D&O‑Versicherungsgesellschaften kann die berüchtigte Strafrechtsschutzausschnittdeckung zum Alptraum werden. Es ist schon fragwürdig, warum auf Seiten der D&O‑Versicherungs-Verantwortlichen niemand gewusst oder zumindest damit gerechnet hat, dass Rechtskosten in Wirtschaftsstrafverfahren D&O‑Policen empfindlich angreifen und aushöhlen können. Deckungssummen werden dann verbraucht für Ereignisse, die problemlos hätten ganz woanders versichert werden können, nämlich dort, wo sie schon begrifflich hingehören.
Die Industrie-Strafrechtsschutzversicherung hat sich bereits in den frühen 1970er Jahren etabliert. Zu jener Zeit hatte niemand an eine zivilrechtliche D&O‑Haftung gedacht. Im Zentrum strafrechtlicher Ermittlungen stand vor allem die Verantwortung von Unternehmensleitern und Betriebsbeauftragten für die Vermeidung von Umweltschäden. Die Umweltverantwortung hatte derart an Relevanz gewonnen, dass zahlreiche weitverstreute Rechtsvorschriften Eingang in das Strafgesetzbuch (StGB) gefunden hatten. Das Umweltstrafrecht lag plötzlich in unmittelbarer Nachbarschaft zu Mord, Totschlag, Betrug oder Untreue. Die Industrie wurde mit Industrie-Haftpflichtpolicen verpflegt, vornehmlich von den Versicherern Gerling und HDI. Nach gut 40 Jahren intensiver Entwicklungsarbeit in den Wording-Abteilungen der Rechtsschutzversicherer und einiger spezialisierter Versicherungsmakler hat sich dann so „mir nichts, dir nichts“ die Versicherung von Rechtskosten im Zusammenhang mit Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren in D&O‑Versicherungspolicen zahlreicher Anbieter geradezu eingeschlichen. Ohne jeden Aufpreis wurde die D&O‑Deckungssumme anteilig, oder auch insgesamt und dann noch frei von Deckungsausschlüssen – bis auf Vorsatz – zur Verfügung gestellt. Viele Versicherungsmakler und Versicherungsberater haben daraufhin bestehende separate Strafrechtsschutzversicherungen gekündigt und für D&O‑versicherungstreue Kunden auch nicht weiter angeboten.
Der Vorteil für die versicherten Unternehmen liegt auf der Hand. Eine spürbare Einsparung von Versicherungsprämien war der günstige Effekt, und auch der einzige mit der Aktion verbundene Vorteil.
Jetzt zu den Nachteilen:
- Mit der Beschreibung einer Strafrechtsschutzversicherung innerhalb einer D&O‑Police mit einem Textumfang von drei Zeilen dürften streitauslösende Regelungslücken produziert werden, denen üblicherweise mit separaten Strafrechtsschutzversicherungen im Umfang von 30 Textseiten begegnet wird.
- Der Kreis der versicherten Personen ist in der Strafrechtsschutzversicherung mit sämtlichen Betriebsangehörigen definiert. Die D&O‑Policen legen den Fokus auf Organmitglieder und gelegentlich auch auf besondere Verantwortungsträger in unteren Hierarchieebenen.
- Der Eingriff in die D&O‑Deckungssumme kann gravierend sein. Nicht selten entstehen in Wirtschaftsstrafverfahren Kosten in 7‑stelliger Größenordnung.
- In der Schadenregulierung über einen D&O‑Versicherungsvertrag mit einem strafrechtlichen Deckungsbaustein können bedrohliche Interessenkollisionen entstehen. Endet das Strafverfahren mit einer Vorsatzverurteilung, so wird der D&O‑Versicherer in der Regel sämtliche der erbrachten Leistungen zurückfordern, was sich in aller wünschenswerten Deutlichkeit aus den Versicherungsbedingungen ergibt. Man könnte also den Gedanken hegen, dass eine strafrechtliche Verurteilung zum Festakt auf Seiten des D&O‑Versicherers wird. So hat das OLG Hamm mit Beschluss vom 13.07.2023 – 20 U 64/22 die Problematik aus dem Nebeneinander von zivilrechtlicher und strafrechtlicher Deckung innerhalb eines D&O‑Versicherungsvertrages unter die Lupe genommen (hierzu sehr aufschlussreich Bernd Guntermann in r+s 23–24/2023).
Das im Beschluss beleuchtete Thema von Anzeige- und Auskunftsobliegenheiten von versicherten Unternehmen und versicherten Personen im Zusammenhang mit Straf- und Ordnungs- widrigkeitenverfahren gipfelt bereits bei der Beantragung von Versicherungsschutz in der Fragestellung, ob denn den Versicherten Personen Pflichtverletzungen bekannt seien, die zu einer Inanspruchnahme von Versicherungsschutz führen könnten. Hierzu gibt es auch Fragebögen, die ein Auskunftsverlangen ganz explizit im Hinblick auf die Verletzung von straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Vorschriften vorsehen.
Wer mag wohl einen solchen Fragebogen ausfüllen und mit seiner Unterschrift versehen? Die Betriebsabteilungen der Versicherungsgesellschaften wären dann sicherlich das neue Schlaraffenland für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der deutschen Staatsanwaltschaften. Also, der Fall ist eigentlich glasklar. Die Strafrechtsschutzausschnittdeckung hat in D&O‑Versicherungspolicen nichts zu suchen. Stattdessen sollte aufgrund wachsender Risiken strafrechtlicher Verfolgung eine separate und eigenständige Strafrechtsschutzversicherung neben den D&O‑Versicherungsschutz treten.
Die Risikosituation wird aktuell befeuert von aufgeschobenen und künftig vermehrt vorkommenden Insolvenzsituationen. Wie in nahezu jedem Insolvenzverfahren geht eine Nachricht an die zuständige Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis, dass die Verletzung strafrechtlicher Normen durchaus denkbar ist im jeweiligen Fall.
Korruptionsverfahren gehören nicht der Vergangenheit an. Auch wenn wichtige Compliance-Systeme auch zur Korruptionsvermeidung beitragen sollen, so finden doch immer wieder Übertretungen statt. Dies gilt auch für den Bereich des Wettbewerbsrechts und insbesondere kartellrechtswidriger Preisabsprachen. Selbst gute Compliance-Systeme können dieses Risiko nicht in Gänze ausschließen und man muss sich schon wundern, dass es in großen Unternehmen in zeitlichen Abständen an unterschiedlichen Stellen immer wieder erneut zu wettbewerbswidrigen Preisabsprachen kommt.
Die Verletzung von Datenschutzvorschriften hat eine Bedeutung erlangt, die allein schon vor dem Hintergrund der Höhe der Bußgelder den kartellrechtlichen Risiken gleichkommt.
Und zu guter Letzt haben kostenträchtige Cum-ex-Verfahren die Rechtsschutzindustrie ins Wanken gebracht. So findet sich heute in Strafrechtsschutzpolicen von Finanzdienstleistungsunternehmen ziemlich durchweg ein Cum-ex-Deckungsausschluss.
Also, wie sieht eine qualitativ hochwertige Strafrechtsschutzversicherung aus?
- Im besten Fall gibt es keinerlei Risikoausschlüsse.
- Annex-Verfahren, das sind Verwaltungsverfahren oder sonstige Verfahren, die Parallel die strafrechtlichen Verfahren begleiten, sollten vom Versicherungsschutz umfasst sein.
- Besonders wichtig ist die Möglichkeit der freien Anwaltswahl auf Basis frei vereinbarter Honorare nach Stundensätzen. Die Abrechnung auf Basis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) ist im Wortschatz eines Wirtschaftsstrafverteidigers nicht zu finden.
- Deckungssummen haben in der Vergangenheit schon für kleine und mittelständische Unternehmen 1 Millionen EUR je Versicherungsfall betragen. Heute liegen die Deckungs-summen in der Größenordnung zwischen 2 – 10 Millionen EUR in Abhängigkeit von der Größe und möglicher strafgeneigter Tätigkeiten innerhalb der Unternehmen.
- Anzeigeobliegenheiten sollten, wenn überhaupt, in stark reduziertem Umfang vereinbart sein.
Auch Versicherungspolicen mit gleichermaßen hohem Qualitätsniveau unterschiedlicher Anbieter kön- nen sich unterscheiden mit Blick auf Serviceleistungen, die durch die Versicherer vermittelt werden und selbstverständlich auch durch den Umfang von Schadenregulierungserfahrung. So werden von einigen Anbietern kostenlose Compliance-Schulungen geboten, oder als Inhalt von Apps Anwaltsnotrufe in rund um die Uhr tätige Wirtschaftsstrafrechtsschutz-Kanzleien installiert für den Fall von plötzlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen.
Aktuell wird über die Notwendigkeit einer zusätzlichen persönlichen Strafrechtsschutzversicherung in der Versicherungsbranche diskutiert. Was spricht für den Abschluss einer zusätzlichen privaten Ver- sicherung?
- Die Rechte aus dem Versicherungsvertrag stehen ausschließlich der natürlichen Person zu, die den Versicherungsvertrag auf eigene Rechnung abschließt. Unternehmenspolicen beinhalten hingegen Regelungen in unterschiedlichen Ausgestaltungen, die die Rechte der versicherten Personen begrenzen oder gar ausschließen können. Hierauf ist bei der Untersuchung von Unternehmen-Strafrechtsschutzversicherungen besonders zu achten.
- Nicht selten beinhalten Unternehmens-Strafrechtsschutzversicherungen Deckungsausschlüssen, die von Versicherern privater Strafrechtsschutzversicherungen nicht verlangt werden.
- Das Ausschöpfungsrisiko von Unternehmensdeckungen ist hoch. Dies gilt ganz besonders für im Ausland stattfindende Strafverfahren im angloamerikanischen Rechtsraum, wo Deckungs- summen innerhalb von wenigen Monaten verbraucht sein können. An dieser Stelle gibt die pri- vate Versicherung mit einer Summendifferenz weiterhin Versicherungsschutz.
Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, das Strafrechtsschutzausschnittdeckungen in D&O‑Policen zugunsten von Unternehmens-Strafrechtsschutzversicherungen weichen sollten. In Ergänzung zum Unternehmens-Strafrechtsschutz empfiehlt sich immer eine private zusätzliche Strafrechtsschutzversicherung auf eigene Rechnung. Die Versicherungsprämien sind überschaubar und können Eingang finden in die jährliche Steuererklärung.
Diesen Beitrag veröffentlichte die Zeitschrift VersicherungsPraxis in ihrer Ausgabe 03/2024, S. 14–17.
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