Beitrag von Michael Hendricks  und Dr. David Ulrich für die Versi­che­rungs­Praxis 02/2023 

In den jüngsten Diskus­sionen um Prämien und Deckungs­ka­pa­zi­täten in der D&O-Versicherung drohte unter­zu­gehen, was viele versi­cherte Manager noch stärker umtreibt als Preise: drohende Lücken im Versicherungsschutz.

Ein Risiko hat der BGH 2020 abge­räumt: Zahlungen nach Insol­venz­reife sind jetzt auch dann vom D&O-Schutz umfasst, wenn die Insol­venz­haf­tung nicht explizit als versi­chert im Vertrag genannt ist. Für zwei weitere Probleme steht eine Lösung weiterhin aus: Versi­che­rungs­schutz für Bußgelder und das Risiko der Anfech­tung des Versicherungsvertrags.

1. Anfech­tung: Wie umgehen mit dem Risiko?

Das Comroad-Urteil des OLG Düssel­dorf1 kam in der D&O-Versicherung 2005 einem Erdbeben gleich. Was war geschehen? Der Aufsichts­rats­vor­sit­zende der Comroad AG hatte mit detek­ti­vi­scher Recherche in Erfah­rung gebracht, dass im Geschäfts­be­richt veröf­fent­lichte Zahlen in keiner Weise der Realität entspra­chen. Es gab Klagen von Aktio­nären gegen inhaf­tierte und vermö­gens­lose Vorstände und auch gegen den Vorsit­zenden des Aufsichts­rates, der die Betrü­ge­reien ans Licht gebracht hatte.

Das Problem: Der D&O-Versicherer sah sich arglistig getäuscht und erklärte die Anfech­tung des gesamten Versi­che­rungs­ver­trags (§ 22 VVG, § 123 BGB). Den Einwand der redli­chen versi­cherten Personen (etwa des Aufsichts­rats­vor­sit­zenden), die Anfech­tung könne ja nur dieje­nigen Versi­cherten betreffen, die von der Täuschung mindes­tens Kenntnis hatten, ließ das Gericht im dann folgenden Prozess nicht gelten. Der Versi­che­rungs­schutz für alle versi­cherten Personen entfiel (Nich­tig­keit des gesamten Versi­che­rungs­ver­trages von Anfang an gem. § 142 BGB).

In der D&O-Versicherung ist diese Wirkung der Anfech­tung beson­ders weit­rei­chend, weil Versi­che­rungs­nehmer meist einheit­lich eine D&O-Versicherung auch für die Toch­ter­un­ter­nehmen eines Konzerns abschließen und damit zahl­reiche versi­cherte Personen durch die Täuschung einer für den Versi­che­rungs­nehmer tätigen Person ihren gesamten Versi­che­rungs­schutz verlieren können.

1.1 Der Anfech­tungs­ver­zicht als Scheinlösung

In Reak­tion auf das Comroad-Urteil führten Versi­che­rungs­makler und D&O-Versicherer Anfech­tungs­ver­zichte in unter­schied­li­cher Ausge­stal­tung in die Verträge ein. Doch recht­lich stehen diese Verzichte und andere Formu­lie­rungen zur Begren­zung des Anfech­tungs­ri­sikos auf tönernen Füßen.

Gängige Anfech­tungs­ver­zichts­klau­seln lauten etwa:

„Für arglistig täuschende versi­cherte Personen oder solche, die hiervon Kenntnis hatten, besteht kein Versi­che­rungs­schutz. Im Übrigen verzichtet der Versi­cherer für diese Fälle auf das Recht der Anfechtung.“

In zwei Entschei­dungen stellte der Bundes­ge­richtshof zu einer (anderen) Versi­che­rung für fremde Rech­nung jedoch fest, dass der Versi­cherer nicht im Voraus auf sein Anfech­tungs­recht wegen arglis­tiger Täuschung verzichten kann.2 Soweit die BGH-Entschei­dungen auf die D&O-Versicherung über­tragbar sind (höchst­rich­ter­liche Recht­spre­chung hierzu erging bislang nicht), gilt daher: Klau­seln in D&O-Versicherungsverträgen, mit denen der Versi­cherer pauschal im Voraus auf das Anfech­tungs­recht wegen arglis­tiger Täuschung verzichtet, sind unwirksam.

1.2 Lösungs­wege

Für die versi­cherten Personen stellt sich daher die Frage: Wie sichere ich meinen Versi­che­rungs­schutz im Fall einer Täuschung durch eben­falls unter meiner D&O-Police versi­cherte Kollegen?

Die einfachste, aber gerade im Konflikt­fall unwahr­schein­liche Lösung ist, dass der Versi­cherer von seinem Anfech­tungs­recht keinen Gebrauch macht. Entspre­chende Zusi­che­rungen haben Versi­cherer seit den BGH-Entschei­dungen zur Unwirk­sam­keit des Anfech­tungs­ver­zichts mitunter gegeben.

Auf eine Anfech­tung zu verzichten, obwohl diese möglich wäre, kann für den Versi­cherer im Einzel­fall sinn­voll und vertretbar sein, etwa zur Wahrung einer Geschäfts­be­zie­hung. Ein solches nach Eintritt des Versi­che­rungs­falls nicht ausge­übtes Anfech­tungs­recht ist aller­dings als bloße Kulanz einzu­ordnen. Der Versi­cherer ist nicht durch einen unwirk­samen Anfech­tungs­ver­zicht gebunden. Viel­mehr können sich gerade bei Groß­schäden Versi­cherer etwa gegen­über Aktio­nären, Exze­den­ten­ver­si­che­rern oder Rück­ver­si­che­rern in der Pflicht sehen, alle recht­lich zur Verfü­gung stehenden Mittel zu nutzen, um ihre Leis­tungs­pflicht auszu­schließen. Es wäre deshalb von versi­cherten Mana­gern und versi­che­rungs­neh­menden Gesell­schaften wage­mutig, sich allein auf Beteue­rungen des Versi­che­rers vor Eintritt eines Versi­che­rungs­falls zu verlassen.

1.2.1 Risi­ko­mi­ni­mie­rung

Schon vor Vertrags­schluss kann der Versi­che­rungs­nehmer das Risiko einer späteren Anfech­tung minimieren.

Zurech­nung nur von Täuschungen durch Repräsentanten

In jedem Fall sollte der D&O-Versicherungsvertrag durch eine Reprä­sen­tan­ten­klausel3 und einen Ausschluss der Zurech­nung nach § 47 Abs. 1 VVG sicher­stellen, dass nur Täuschungen durch einen kleinen Kreis an Reprä­sen­tanten ein Anfech­tungs­recht begründen. Das mini­miert zunächst das Anfech­tungs­ri­siko, stellt jedoch noch keine adäquate Lösung des Problems dar.

Versi­cherer bestä­tigt Voll­stän­dig­keit der erhal­tenen Unterlagen

Der Versi­cherer könnte vor Vertrags­schluss bestä­tigen, dass die erhal­tenen Unter­lagen und Infor­ma­tionen für seine Risi­ko­kal­ku­la­tion ausrei­chend sind. Damit wäre es dem Versi­cherer erschwert, die Anfech­tung auf vermeint­lich unter­las­sene Angaben zu stützen. Viel­mehr müsste dann der Versi­cherer nach­weisen, dass er ohne die vermeint­lich unter­las­sene Angabe den Vertrag nicht oder nicht so abge­schlossen hätte.

Zwischen­schalten eines Versicherungsmaklers

Um das Risiko einer Anfech­tung zu mini­mieren, sollten Versi­che­rungs­nehmer erfah­rene und etablierte Versi­che­rungs­makler einschalten. Etablierte Versi­che­rungs­makler verwenden häufig eigene Frage­bögen und verhin­dern so eine ausufernde Befra­gung durch den Versi­cherer. Des Weiteren können die Versi­che­rungs­makler hinsicht­lich der von ihnen gestellten Fragen die Versi­che­rungs­nehmer umfas­send beraten und so eine Falsch­be­ant­wor­tung verhindern.

Außerdem profi­tieren Versi­che­rungs­nehmer von einer Zwischen­schal­tung eines Versi­che­rungs­mak­lers auch dann, wenn der Versi­cherer (zusätz­lich) wegen einer (vermeint­li­chen) Verlet­zung der Anzei­ge­o­b­lie­gen­heit nach § 19 VVG den Rück­tritt vom Versi­che­rungs­ver­trag erklärt. Die vom Versi­che­rungs­makler gestellten Fragen gelten grund­sätz­lich nicht als vom Versi­cherer gestellt, sodass dem Versi­cherer kein Rück­tritts­recht zusteht.4

1.2.2 Modi­fi­zierte Anfechtungsverzichte

Eine weitere Möglich­keit ist die Verein­ba­rung einer soge­nannten „quali­fi­zierten Severa­bi­lity-Klausel“. Solche quali­fi­zierten Severa­bi­lity-Klau­seln enthalten zwar weiterhin einen Anfech­tungs­ver­zicht, ermög­li­chen aber dem Versi­cherer über einen Risi­ko­aus­schluss, gegen­über den täuschenden Personen leis­tungs­frei zu werden.

Damit sichert die quali­fi­zierten Severa­bi­lity-Klausel zumin­dest in der Theorie die redli­chen versi­cherten Personen. Frag­lich und bisher höchst­rich­ter­lich nicht entschieden ist aber, ob solche quali­fi­zierten Severa­bi­lity-Klau­seln über­haupt wirksam sind.5

Glei­ches gilt für soge­nannte Trenn­bar­keits­klau­seln, nach denen im Falle einer Anfech­tung der D&O-Versicherungsvertrag in einen nich­tigen und einen wirk­samen Teil getrennt werden soll (§ 139 BGB).6 Auch hierzu gibt es noch keine Rechtsprechung.

1.2.3 Ergän­zende Versicherungen

Um für den Fall einer erfolg­rei­chen Anfech­tung geschützt zu sein, bietet sich der Abschluss weiterer Versi­che­rungen an.

Selb­stän­dige D&O-Versicherung für Aufsichtsrat und Tochterunternehmen

Durch eine selb­stän­dige D&O-Versicherung für den Aufsichtsrat und Toch­ter­un­ter­nehmen wird verhin­dert, dass eine Täuschung durch ein Mitglied des Vorstands der Mutter­ge­sell­schaft auch den Versi­che­rungs­schutz für die Aufsichts­rats­mit­glieder bzw. die Entschei­dungs­träger der Toch­ter­ge­sell­schaften entfallen lässt.

Die Verwal­tung und Koor­di­nie­rung zahl­rei­cher D&O-Versicherungen für verschie­dene Gruppen von Entschei­dungs­trä­gern inner­halb einer Konzern­struktur führt jedoch zu einem erhöhten Aufwand und höheren Abschluss­kosten. Auch löst dieses Modell nicht die Anfech­tungs­ge­fahr für die redli­chen Mitglieder des Vorstands der Muttergesellschaft.

Persön­liche D&O-Versicherung

Voll­stän­digen Schutz stellt allein eine zusätz­liche, persön­liche D&O-Versicherung jedes Mana­gers dar.7 Die versi­cherten Personen können nämlich indi­vi­duell eine persön­liche D&O-Versicherung abschließen und sind damit unab­hängig von der Unternehmens-D&O-Versicherung geschützt.

Neben diesem Schutz vor einer mögli­chen Anfech­tung, erhält die versi­cherte Person eine weitere eigene Versi­che­rungs­summe (die etwa greift, wenn die konzern­ei­gene Versi­che­rungs­summe aufge­braucht ist) und kann zudem einen verpflich­tenden Selbst­be­halt abde­cken. Die persön­liche D&O stellt daher den „Königsweg“ der Absi­che­rung gegen verschie­dene Unzu­läng­lich­keiten der klas­si­schen Unternehmens-D&O dar. Dabei gilt es aber zu beachten: Die Prämien einer solchen Zusatz­po­lice hat der versi­cherte Manager selbst zu tragen.

Zusätz­liche Rechtsschutzversicherung

Das Unter­nehmen könnte auch zugunsten der versi­cherten Personen eine subsi­diäre und durch die Anfech­tung der D&O-Versicherung bedingte Rechts­schutz­ver­si­che­rung abschließen. Diese Rechts­schutz­ver­si­che­rung könnte dann (1.) die Abwehr­kosten gegen den geltend gemachten Haftungs­an­spruch und (2.) die Durch­set­zung des Deckungs­an­spruchs abdecken.

2. Bußgelder: Versi­cherbar oder nicht?

Eine weitere Deckungs­lücke droht versi­cherten Personen immer dann, wenn Bußgelder unmit­telbar oder mittelbar gegen die versi­cherte Person geltend gemacht werden.

Bußgelder unmit­telbar gegen die versi­cherte Person

Ermit­telt eine Behörde unmit­telbar gegen eine versi­cherte Person und droht die Verhän­gung eines Bußgelds an, erhält die versi­cherte Person keinen Versi­che­rungs­schutz unter einer klas­si­schen D&O-Versicherung.

Nur wenn die D&O-Versicherung auch eine Straf­rechts­schutz­klausel enthält, kann die versi­cherte Person die Deckung der Rechts­an­walts­ge­bühren verlangen. Aller­dings ist einer eigen­stän­digen Straf­rechts­schutz­ver­si­che­rung der Vorzug zu geben. Die Über­nahme eines gegen die versi­cherte Person gerich­teten Bußgelds scheidet jedoch wegen Sitten­wid­rig­keit regel­mäßig aus (§ 138 BGB).8

Bußgelder gegen den Versi­che­rungs­nehmer – Regress bei der versi­cherten Person

Schwie­riger ist die Frage zu beant­worten, ob der Manager auch dann Versi­che­rungs­schutz genießt, wenn der Versi­che­rungs­nehmer wegen eines Unter­neh­mens­buß­gelds gegen die mutmaß­lich verant­wort­li­chen Entschei­dungs­träger Regress nimmt. Kann also die versi­cherte Person von ihrem D&O-Versicherer Versi­che­rungs­schutz verlangen, wenn der Versi­che­rungs­nehmer die versi­cherte Person wegen eines gegen das Unter­nehmen verhängten Bußgelds in Anspruch nimmt?

Teil­weise ist auf diese Frage die Erwi­de­rung zu hören, dass die versi­cherte Person auf keinen Versi­che­rungs­schutz ange­wiesen sei. Der Versi­che­rungs­nehmer könne Unter­neh­mens­buß­gelder schon gar nicht bei der versi­cherten Person (seinem Manager) regres­sieren, da kein dafür notwen­diger Haftungs­an­spruch vorliege.9 Doch zu dieser Frage hat der BGH noch keine Aussage treffen dürfen.

Solch theo­re­ti­sche Diskus­sion helfen dem Manager auch wenig, wenn er sich einem derar­tigen Haftungs­an­spruch ausge­setzt sieht. Denn dann benö­tigt der Manager Rechts­schutz, um sich gegen die Forde­rung zu vertei­digen. Es handelt sich also um den klas­si­schen Fall der Abwehr unbe­rech­tigter Scha­dens­er­satz­an­sprüche, für den die D&O-Versicherung konzi­piert ist. Dennoch schließen die Muster­be­din­gungen des GDV in Ziffer A-7.10 AVB-D&O den Versi­che­rungs­schutz explizit aus.

Versi­che­rungs­nehmer und versi­cherte Personen sollten daher prüfen, ob die eigene D&O-Versicherung Versi­che­rungs­schutz für Haftungs­an­sprüche aufgrund eines Unter­neh­mens­buß­gelds ausschließt. Sollte die versi­cherte Person keinen solchen Deckungs­an­spruch in der Unter­neh­mens­po­lice finden, verbleibt ihr nur noch der Abschluss einer persön­li­chen D&O-Versicherung.

3. Fazit

Die Damo­kles­schwerter der Anfech­tung und des Bußgeld­re­gresses schweben auch 2023 über den Köpfen der redli­chen – und vermeint­lich versi­cherten – Entschei­dungs­träger in Deutsch­land. Da beim Thema Anfech­tung weder auf Zusagen des Versi­che­rers noch auf vertrags­in­terne Klausel-Lösungen zum gegen­wär­tigen Zeit­punkt hundert­pro­zentig Verlass ist, bleibt für das Gros der Manager als sicherster Weg nur eine zusätz­liche indi­vi­du­elle Absi­che­rung über eine persön­liche D&O-Police.

Eine solche Police kann auch eine mögliche Deckungs­lücke schließen, die aus der Gefahr von Bußgeld-Regressen hervor­geht, solange D&O-Versicherer zu diesem Thema keine einheit­liche Posi­tion und verläss­liche Lösung gefunden haben.

Diesen Beitrag veröf­fent­lichte die Zeit­schrift Die Versi­che­rungs­Praxis in ihrer Ausgabe 02/2023

Michael Hendricks,
Rechtsanwalt,
Hendricks & Partner,
Düsseldorf

Dr. David Ulrich, 
Rechtsanwalt,
WILHELM Rechtsanwälte,
Düsseldorf

  1. OLG Düssel­dorf, Urteil vom 23.08.2005 - I-4 U 140/04.
  2. Beschl. v. 21. September 2011, Az. IV ZR 38/09; Beschl. v. 9. November 2011, Az. IV ZR 40/09.
  3. Lange in Veith/Gräfe/Gebert4, § 21, Rn. 113 ff.
  4. OLG Hamm, r + s 2011, 198.
  5. Für eine Wirk­sam­keit: Gädtke, r+s 2013, 313, 315.
  6. Gädtke, r+s 2013, 313, 317.
  7. Melot de Beau­re­gard, ZStV 2015, 143, 146: Vermieden werden kann dieser „Effekt“ [einer Anfech­tung des gesamten Versi­che­rungs­ver­trags] derzeit frei­lich nur, indem jedes Organ­mit­glied unab­hängig und für sich selbst eine D&O-Versicherung abschließt“.
  8. Gädtke in Bruck/Möller10, A-7 AVB D&O, Rn. 109.
  9. Thomas, NZG 2015, 1409.